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Worauf ist das „goldene Zeitalter“ der Geisteswissenschaften in der Bundesrepublik zurückzuführen, das von den 1960er Jahren bis weit in die 1980er andauerte? Ein Effekt der Bildungsexpansion? Eine Folge der gesellschaftskritischen Emphase rund um 1968? Als die Geisteswissenschaften populär waren erprobt eine weitere Erklärung: Das goldene Zeitalter der Geisteswissenschaften ist das Zeitalter des wissenschaftlichen Taschenbuchs. Publikumsverlage, die geisteswissenschaftliche Texte massenhaft verfügbar machen; Taschenbuchreihen, die es auch Studierenden ermöglichen, Bibliotheken anzulegen; und Autor*innen, die im Bewusstsein dieser Verbreitungsmöglichkeit schreiben: das Geschehen auf dem Taschenbuchmarkt ist Treiber der Expansion der Geisteswissenschaften – und verwandelt sie so radikal.
Die Beiträge diskutieren diesen Befund anhand von eminenten Taschenbuchgeschichten – Fälle von Erfolgstiteln, in denen Entstehung und Rezeption mit dem Buchmarktgeschehen in engem Zusammenhang stehen: R. Barthes’ Mythen des Alltags (Ruth Signer); J. Jacobs’ und A. Mitscherlichs Stadtforschungen (Hanna Böge); J. Habermas’ Erkenntnis und Interesse (Morten Paul); M. Horkheimers Autoritärer Staat (Sven Gringmuth); die populäre Reich- (Yanara Schmacks) und Benjamin-Rezeption (Detlef Siegfried); das Funkkolleg Sprache (Marius Albers); H.P. Duerrs Traumzeit (Rosa Eidelpes) und A. Davis’ Rassismus und Sexismus (Samira Spatzek). Thematisiert wird aber auch das literarische Leiden an den Geisteswissenschaften in K. Strucks Klassenliebe (Fabienne Steeger) und es wird ein Seitenblick auf europäische Theory in den amerikanischen Humanities (Gregory Jones-Katz) geworfen. So entsteht ein vielschichtiges Bild diesseits nostalgischer Verklärung, das auch den Blick auf die Gegenwart geisteswissenschaftlichen Publizierens schärft. |