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Die Imagination (hebräisch: dimyon) galt den hebräischen Philosophen des 13. Jahrhunderts als ambivalente seelische Kraft. Unentbehrlich für viele psychische Vorgänge war sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Fähigkeit, Vorstellungsgebilde zu kreieren. Doch gerade von diesem besonderen Vermögen konnte auch die Gefahr ausgehen, dass Kreationen der Phantasie real erscheinen und die intellektuelle Urteilsfähigkeit kompromittieren. Im Kontext der Erklärung wahrer Träume kommt diese Ambivalenz besonders zum Tragen: Die Philosophen gingen davon aus, dass (medizinisches, prophetisches, philosophisches) Wissen im Traum erworben werden kann; als Urheberin der Träume galt jedoch gemeinhin die (unzuverlässige) Imagination.
Hanna Zoe Trauer widmet sich in ihrer Studie den Enzyklopädisten Shem Tov Ibn Falaquera (Deʿot ha-Filosofim) und Gershon ben Solomon (Shaʿar ha-Shamayim), die unter Rückgriff auf psychologische Konzepte aus der arabischen und judäo-arabischen Philosophie neue Traumtheorien entwickelten, um den epistemischen und prophetischen Status von Träumen zu validieren. Sie unterschlugen zugleich deren Innovativität, indem sie die Theorien durch kompilatorische und übersetzerische Eingriffe als Zitate in ihre Schlaf- und Traumkapitel einflochten. Trauer zeigt auf, in welch hohem Maße die vermeintlich unoriginellen kompilatorischen Enzyklopädien am Wandel des von ihnen transferierten Wissens beteiligt waren. Ausgehend von einer philologischen Analyse der Kapitel zu Schlaf, Traum und Imagination in beiden Enzyklopädien leistet die Studie nicht nur einen Beitrag zur Geschichte der Psychologie und Philosophie der Imagination, sondern zugleich auch zur Bedeutung der hebräischen Enzyklopädien für den arabisch-hebräischen Wissenstransfer im 13. Jahrhundert. |