|
weitere Titel zum Thema:
Download:
Der Pietismus hat als neben der Aufklärung kulturgeschichtlich prägende Wirkmacht über seine religiös-frommen und sozialreformerischen Erneuerungen hinaus die persönliche Erfahrung zu einer orientierenden Leitkategorie gemacht. Für Theologie und Frömmigkeitspraxis, Wissenschaft und Kunst, aber auch für die Bewältigung des Alltags wurde die ‚eigene Erfahrung’ vom Pietismus als verlässlicher Orientierungswert reflektiert und eingesetzt. Dabei wurde die persönliche Erfahrung ergänzend und mitunter auch konkurrierend ins Verhältnis zu dem in der Bibel offenbaren Gott gesetzt; als Element christlicher Klugheit hat sie in pädagogischer Theoriebildung und Praxis vernünftig-aufklärerische Funktionen angenommen und für die literarische, musikalische und bildkünstlerisch-architektonische Kultur hat sie individualisierende und subjektivierende Akzente gesetzt. So hat ‚Erfahrung’ einerseits der kritischen Sichtung autoritativer Traditionen gedient, und zugleich ist sie zu einer legitimatorischen Instanz avanciert.
Die Beiträge des Tagungsbandes bestimmen in internationaler und interdisziplinärer Perspektive den entscheidenden Anteil, den der Pietismus in seinen regional-territorialen Ausprägungen daran hatte, dass das Jahrhundert der Aufklärung auch als Jahrhundert der Erfahrung betrachtet werden kann. Die genaue Analyse theologisch- und pädagogisch-pietistischer Theoriebildungen zur Konzeptionierung und Systematisierung von Erfahrung zeigt zudem, dass Pietismus und Aufklärung neben den von der Forschung lange überbetonten Differenzen auch augenfällige Kongruenzen aufweisen. |